Österreichische Adipositas Gesellschaft
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Ratgeber für Eltern mit übergewichtigen Kindern

Ratgeber für Eltern mit übergewichtigen Kindern

I. Unterstützen und loben Sie Ihr Kind

Wenn Sie besorgt sind über das Gewicht Ihres Kindes und wenn Sie praktische Tipps wollen, um Ihre Lebensgewohnheiten zu verbessern, dann ist dies der richtige Ratgeber für Sie.
Beim Umgang mit übergewichtigen Kindern brauchen Eltern viel Zeit, Motivation und auch Geduld. Aber die Investition in die Gesundheit Ihres Kindes und auch in Ihre lohnt sich.
Ihr Kind braucht Sie mehr denn je, um gesunde Gewohnheiten und einen gesunden Lebensstil annehmen zu können. Sie sind sein Vorbild. Wenn Sie beim Erfüllen dieser Vorbildfunktion Hilfe benötigen, können Ihnen professionelle Helferinnen und Helfer unterstützend zur Seite stehen, aber nur Sie können eine Veränderung bewirken.

Viel Spaß beim Lesen!

II. Übergewicht in der Kindheit

Übergewicht stellt für die europäische Bevölkerung ein zentrales Gesundheitsproblem dar. Mehr als 20 Prozent der Kinder sind davon betroffen. Ihr Kind ist nicht allein.
Übergewicht hat seine Hauptursache in gesellschaftlichen Veränderungen, die zu verminderter körperlicher Aktivität geführt haben, zu einer unausgewogenen Ernährung, Schlafmangel und zum Teil Stress im Kindesalter. Manche Familien neigen zudem zu genetisch bedingtem Übergewicht.
Mit Übergewicht ist das Leben ein anderes. Ihr Kind kleidet sich anders, es kann nicht mehr rennen ohne außer Atem zu geraten, es wird möglicherweise von Klassenkameraden und -kameradinnen gehänselt oder geärgert.
Aber Übergewicht führt auch kurz- und langfristig zu medizinischen Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes.
Die starrenden Blicke, die Hänseleien und die Schwierigkeit, das eigene Körpergewicht zu akzeptieren, haben möglicherweise psychologische Konsequenzen. Die Auswirkungen von Übergewicht auf Lebensqualität und mentale Gesundheit sind nicht zu unterschätzen.

III. Kleine Veränderungen bewirken schon eine Menge

Das Hauptziel ist die Stabilisierung oder Verlangsamung der Gewichtszunahme bei gleichzeitiger Sicherstellung normalen Wachstums und normaler Entwicklung.
Während der Wachstumsperiode nimmt ein Kind gewöhnlich ungefähr drei Kilogramm pro Jahr zu. Im Falle eines übergewichtigen Kindes geht es nicht darum, Gewicht zu reduzieren, sondern darum, das Kind wachsen zu lassen, während das Gewicht konstant bleibt. Auf diese Weise wird das Kind kein Gewicht verlieren, sondern es wird schlanker werden.
Als erster Schritt ist der wahrscheinlichste Grund für das Übergewicht Ihres Kindes festzustellen; im Anschluss daran gilt es, identifizierte Verhaltensweisen und Gewohnheiten zu ändern. Das betrifft die gesamt Familie. Eltern spielen eine prägende Rolle im Verhalten ihrer Kinder, wie auch die häusliche Umgebung. Eltern sind Vorbilder und gehen ihren Kindern mit ihrem Beispiel voran.
Zu Lebensgewohnheiten zählen Fortbewegung, Sport- und Freizeitaktivitäten, Sitzaktivitäten (Fernsehen, elektronische Spiele, Computer), Nahrungsqualität und -menge und die Strukturierung von Mahlzeiten.
Es ist nicht leicht, seinen Lebensstil zu ändern. Veränderung erfordert Zeit. Setzen Sie ein oder zwei realistische Ziele, die langfristig aufrechterhalten werden können. Konzentrieren Sie Ihre Energie und Ihre Anstrengungen, um sich selbst die größte Chance zu geben, ihre Ziele auch tatsächlich zu erreichen.
Kleine Veränderungen bewirken schon eine Menge.

IV. Körperlich aktiv sein macht Spaß

Körperliche Aktivität hat positive Auswirkungen auf das seelische und körperliche Wohlbefinden sowie auf zahlreiche andere Gesundheitsaspekte (Herz, Knochen, Muskeln und Körperfett). Der Gesundheit zuliebe sollten Kinder mindestens 60 Minuten am Tag aktiv sein und Erwachsene mindestens 30 Minuten (oder 3x 10 Minuten) am Tag.

Körperlich aktiv sein in der Praxis:

  • Bewegen Sie sich mit Ihrem Kind!
  • Schlagen Sie Ihrem Kind vor, unabhängig vom Wetter, zur Schule, zu Sportaktivitäten oder in die Musikstunde zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad oder Roller hinzufahren!
  • Nehmen Sie die Stiege anstelle des Fahrstuhls!
  • Organisieren Sie Aktivitäten für die ganze Familie: Spaziergänge, Radfahren, Ballspiele, „Gassigehen“ u. s. w.!
  • Ermutigen Sie Ihr Kind zu Gruppenaktivitäten außerhalb der Schule!
  • Helfen Sie Ihrem Kind dabei, eine Sportart zu finden, die ihm gefällt!
  • Bitten Sie Ihr Kind, Ihnen im Haushalt zu helfen (z. B. sein Zimmer zu putzen, den Müll hinauszutragen, den Abwasch zu machen)!
  • Beginnen Sie langsam und steigern Sie die Intensität und Dauer der körperlichen Aktivität allmählich! Sie sollten anstreben, dass Ihr Kind eine Stunde am Tag körperlich aktiv ist.

V. Fernsehen und Computer

Ihr Kind verbraucht wenig Energie, wenn es vor dem Bildschirm eines Fernsehers oder eines Computers sitzt; dies führt zu Gewichtszunahme. Pro Stunde, die Ihr Kind täglich vor einem Bildschirm verbringt, kann Ihr Kind drei bis vier Kilogramm zusätzlich zur normalen jährlichen Gewichtszunahme zunehmen.
Während der Ausstrahlung von Kinderprogrammen werden zahlreiche Werbespots gesendet, die Nahrungsmittel mit hohem Zucker- und Fettgehalt bewerben und Ihr Kind zum Einnehmen von Zwischenmahlzeiten stimulieren. Essen vor einem Bildschirm beeinträchtigt das normale Sättigungsempfinden.
Fernsehen unmittelbar vor dem Zubettgehen kann die Schlafqualität Ihres Kindes beeinträchtigen.

Fernseh- und Computer-Zeit in der Praxis:

  • Eine Stunde am Tag vor dem Bildschirm ist genug.
  • Stellen Sie klare Regeln auf und planen Sie den Programmablauf im Voraus: Sie entscheiden, wann Ihr Kind Zeit vor dem Bildschirm verbringt und wie viel.
  • Schalten Sie den Fernseher während der Mahlzeiten ab und lassen Sie nicht zu, dass vor dem Bildschirm gegessen wird!

VI. Essen mit Lust

Diätetische Einschränkungen sorgen in erheblichem Maße für Frustration und Konflikt in der Familie. Vom Aufstellen einer strengen Diät für Kinder ist abzuraten, da dies ineffektiv ist, kontraproduktiv und manchmal sogar gefährlich.
Das Ziel für die ganze Familie sind eine ausgewogene Ernährung mit Abwechslung und gesunden Alternativen sowohl strukturierte Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten.
Was das Kind betrifft, soll es dazu angeregt werden, auf innere Signale zu hören wie Hunger oder Sättigungsempfinden, aber auch dazu, neue Nahrungsmittel und Gerichte zu kosten, um die Ernährung vielfältiger werden zu lassen.

Essen in der Praxis:

  • Ausgewogene Mahlzeiten.
  • Fünf Portionen Obst und Gemüse täglich.
  • Wasser
  • Das Empfinden für Hunger oder Sättigung bestimmt die Menge.
  • Ein ausgewogenes Frühstück jeden Morgen.
  • Gesunde Zwischenmahlzeiten, je nach Bedarf.
  • Zu den Mahlzeiten ein breit gefächertes Nahrungsangebot, das jeder und jede in seiner ganzen Vielfalt zumindest kosten muss.

VII. Ausgewogene Mahlzeiten

Die Zusammenstellung ausgewogener Mahlzeit in der Praxis:

  • Wenigstens ⅓ des Tellers gekochtes Gemüse, Salat oder Gemüsesuppe.
  • ⅓ des Tellers Teigwaren, Brot, Reis, Kartoffeln, Zerealien usw.
  • ¼ des Tellers Fleisch, Fisch, Eier, Käse, Tofu, Linsen, Kichererbsen etc.
  • Ein Suppenlöffel Öl pro Person pro Mahlzeit.

Das Ziel: fünf Portionen Obst und Gemüse täglich.
Ein allmählicher Zuwachs im Verzehr von Obst und Gemüse. Ein Beispiel: ein Glas Fruchtsaft zum Frühstück; Salat als Vorspeise und ein Pfirsich als Dessert zum Mittagessen; ein Apfel als Zwischenmahlzeit und ein Teller Gemüsesuppe zum Abendessen.
Eine Portion Obst oder Gemüse entspricht der Größe der Hand des Kindes.

Wasser und ungesüßte Getränke
Wasser ist das einzige unverzichtbare Getränk. Um den Durst zu löschen, trinkt man am besten Wasser, mit oder ohne Kohlensäure, oder ungesüßte Getränke auf Kräuterbasis. Limonaden, Eistee und Sirup enthalten viel Zucker. Ein Glas pro Tag reicht.

VIII. Umgang mit Menge

Hunger bedeutet, dass es Zeit ist, etwas zu essen, aber er gibt uns keine Information hinsichtlich der Menge, die wir essen sollen. Menschen erleben Hunger unterschiedlich (Leeregefühl, „Loch im Bauch“, Glucksen, Mattigkeit oder Reizbarkeit).
Heißhunger ist der Drang, etwas zu essen, ob man Hunger hat oder nicht. Sättigungsempfinden stellt sich dann ein, wenn der Magen voll ist. Das Hungergefühl verschwindet.

Menge in der Praxis:

  • Zwingen Sie Ihr Kind nicht, den Teller leer zu essen, wenn es keinen Hunger mehr hat!
  • Geben Sie das Gemüse zuerst auf den Teller!
  • Richten Sie das Essen ihres Kindes auf einem kleinen Teller an!
  • Vermeiden Sie es, Töpfe mit Essen direkt auf dem Tisch zu platzieren!
  • Schlagen Sie einen Salat oder eine Gemüsesuppe als Vorspeise vor!
  • Lassen Sie Ihr Kind fünf bis zehn Minuten warten, nachdem es den ersten Teller leergegessen hat und fragen Sie erst dann, ob es noch Hunger hat!
  • Richten Sie allen mitessenden Personen nur kleine Portionen an!
  • Geben Sie abgepacktes Essen auf einen Teller oder in eine Schüssel anstatt zuzulassen, dass aus der Packung gegessen wird!
  • Sorgen Sie mit Kerzen, einem Tischtusch u. s. w. für ein angenehmes Ambiente zu den Mahlzeiten und vermeiden Sie kontroverse Gesprächsthemen!
  • Essen Sie langsam, um besser auf die Signale Ihres Körpers achten zu können!

IX. Die Strukturiertheit Ihrer Mahlzeiten

Finden Sie Ihren eigenen Rhythmus für Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten und vermeiden Sie das Naschen zwischendurch! Eine ausreichende Nahrungsaufnahme am Morgen ermöglicht uns, die Energiezufuhr über den gesamten Tagesablauf zu verteilen und führt zu besserer Ausgewogenheit der Ernährung. Kinder, die kein Frühstück hinunterbringen, können beispielsweise zwischen neun und zehn Uhr eine kleine Mahlzeit zu sich nehmen.

Zwischenmahlzeiten in der Praxis:
In Abhängigkeit vom Maße der körperlichen Aktivität Ihres Kindes können eine oder zwei Portionen der folgenden Speisen gereicht werden:

  • Obst (frisch, gekocht, getrocknet), Gemüse, Dips oder Saft
  • Milchprodukte (Joghurt, Milch, Käse)
  • Kohlenhydrate (Brot, Getreideriegel, Müesli etc.)
  • Wasser

Gewisse Speisen für zwischendurch sind reich an verstecktem Fett und verstecktem Zucker (z. B. Kekse, Chips, Schokoriegel). Eine solche Speise pro Tag reicht, aber gar keine ist noch besser.
Zwischenmahlzeiten oder Snacks sind definiert als das Essen zwischen den eigentlichen Mahlzeiten. Verbote oder das Hervorrufen von Schuldgefühlen bei Ihrem Kind sind kontraproduktiv. Helfen Sie ihm stattdessen, Auslöser für das Essen zwischendurch zu erkennen und nach Wegen zu suchen, diese Auslöser einzuschränken oder auszuschalten (Langeweile, Traurigkeit, Frustration, Gegenwart von Essen in der Küche u. s. w.).

X. Werbung und Einkaufen

Werbung, die zum Ziel hat, Familien und insbesondere Kinder anzusprechen, gibt es in großer Menge. Leider sind die darin enthaltenen Informationen nicht immer zutreffend. Denken Sie daran, die Aufschriften zu lesen und sprechen Sie darüber mit Ihrem Kind!

Einkaufen in der Praxis:

  • Hüten Sie sich vor Sonderangeboten, die Ihnen mehr bieten als Sie wirklich brauchen!
  • Versuchen Sie, Ihre Einkaufsgänge im Voraus zu planen, um die Anzahl der Besuche beim Supermarkt gering zu halten.
  • Machen Sie eine Einkaufsliste!
  • Vermeiden Sie das Einkaufen mit leerem Magen!
  • Ermuntern Sie Ihr Kind dazu, Obst und Gemüse auszusuchen!

XI. Eine ausgewogene Ernährung

Eine ausgewogene Ernährung ist unabdingbar, um dem Körper das zu geben, was er braucht. Möglicherweise gibt es Speisen, die Ihrem Kind nicht schmecken. Denken Sie daran: Manche Speisen wollen bis zu 15 Mal probiert werden, ehe man sie zu schätzen lernt. Also Geduld!

Eine ausgewogene Ernährung in der Praxis:

  • Bitten Sie ihr Kind immer wieder, verschiedene Speisen zu probieren!
  • Sorgen Sie dafür, dass Ihr Teller bunt aussieht!
  • Lassen Sie Ihr Kind beim Einkaufen und beim Zubereiten der Mahlzeiten mithelfen!
  • Eltern sind Vorbilder. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!

XII. Erscheinungsbild und Selbstachtung

Unsere Gesellschaft misst der äußeren Erscheinung große Bedeutung zu. Sie ermutigt uns zum Schlanksein und zeigt mit dem Finger auf Rundungen. Übergewichtige Kinder leiden oft unter Hänseleien und abschätzigen Bemerkungen. Besonders schmerzhaft wird es dann, wenn diese von anderen Mitgliedern der Familie ausgehen. Jugendliche mit einem geringen Selbstwertempfinden sind einem größeren Risiko ausgesetzt, zuzunehmen oder sich ungesund zu ernähren.

Erscheinungsbild und Selbstachtung in der Praxis:

  • Akzeptieren Sie Ihr Kind, wie es ist!
  • Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, sich selbst zu mögen.
  • Sagen Sie ihm, dass sie es gerne haben!
  • Heben Sie regelmäßig die guten Eigenschaften Ihres Kindes hervor und die Dinge, die es gut macht!
  • Ermutigen Sie ihr Kind zur Teilnahme an Aktivitäten, die ihm Spaß machen und bei denen es sich wohlfühlt!
  • Messen Sie äußerer Erscheinung nicht zu viel Bedeutung bei!
  • Dulden Sie keine unschönen Bemerkungen oder Witze über Gewicht oder körperliche Erscheinung!
  • Wenn Ihr Kind Hänseleien ausgesetzt ist, braucht es Ihre Unterstützung. Nehmen Sie sich Zeit, mit ihm darüber zu sprechen!
  • Haben Sie ein offenes Ohr für das Leiden Ihres Kindes!
  • Kritik motiviert nicht. Verzichten Sie darauf!

XIII. Rat und Hilfe

bieten Ihnen:

  • Ihre Kinderärztin bzw. Ihr Kinderarzt
  • die zuständige Schulärztin bzw. der zuständige Schularzt
  • eine Diätologin bzw. ein Diätologe

Verfasst von Maude Bessat (Diätologin), Sophie Bucher Della Torre (Diätologin), Lydia Lanza (Psychologin), Albane Maggio (Kinderärztin)
Unter der Leitung von: Nathalie Farpour-Lambert (Kinderärztin und Fachärztin für Sportmedizin)
Für die EASO COTF übersetzt von Annamaria Bulatovic (Kinderärztin)
Durchgesehen und unterstützt von der EASO Childhood Obesity Task Force
© Contrepoids®, 2010 - Hôpitaux Universitaires de Genève


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10.-11. Oktober 2024

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